Heute ist heute, morgen ist morgen

Es war einmal ein König. Der lag nachts in seinem Bett und fand keinen Schlaf, wie immer er sich auch in sein Bett legte, quer oder gerade, auf den Bauch oder den Rücken. Endlich beschloss er, aufzustehen Er ging in seinem Palast durch alle Räume, um seinen Schlaf zu suchen, aber er fand ihn nicht. Der König verkleidete sich als Wanderbursche und begab sich in seine Stadt. Er kam an den großen, prächtigen Häusern seiner Minister und sonstigen hohen Angestellten vorbei. Er konnte durch die hell erleuchteten Fenster sehen, wie dort Feste gefeiert wurden, gesungen, gegessen und getrunken wurde. Das war ihm alles bekannt und ödete ihn; seinen Schlaf fand er dort nicht. Er ging weiter und weiter durch die Stadt und kam in die Gegenden, in denen seine ärmeren Untertanen in kleinen, dunklen Holzhäusern lebten. Hier waren die Fenster meist nicht erleuchtet. Plötzlich hörte er einen Mann in einem dieser kleiner Häuser singen. Er blieb stehen und sah durch das kleine, schwach erleuchtete Fenster. In dem Zimmer, das nur spärlich möbliert war mit einem Tisch und einer Holztruhe, tanzten ein Mann und eine Frau zu dem Gesang des Mannes. Der König klopfte an die Tür. Diese wurde ihm von dem Mann geöffnet und dieser bat den König (Wanderburschen) hinein. Er gab ihm ein Glas Wein zu trinken und eine Scheibe Brot. Der König erkundigte sich bei dem Mann, womit er sein Geld verdiene und was der Anlaß für den Tanz sei. Der Mann sagte, dass er heute als Flickschuster auf dem Marktplatz der Stadt gearbeitet und gerade soviel Geld verdient habe, dass er für den Abend eine Flasche Wein und 3 Scheiben Brot kaufen konnte. Mehr brauchten sie nicht. Nun freuten sie sich darüber und deshalb habe er gesungen und sie hätten getanzt. Der König fragte den Mann, ob das nicht ein bißchen wenig wäre, er müsse doch an morgen denke, an die Zukunft … Der Mann sagte: „Heute ist heute und morgen ist morgen. Der morgige Tag wird für sich sorgen“. Der König verabschiedete sich von dem Mann und dessen Frau und ging nachdenklich zurück in seinen Palast, legte sich in sein Bett und schlief sofort ein.

Am nächsten Morgen kam der Flickschuster auf den Marktplatz der Stadt, um seiner Arbeit nachzugehen und das nötige Geld für diesen Tag zu verdienen. Da hörte er den Ausrufer bekannt geben, dass die Flickschusterei in der Stadt ab sofort verboten sei. Der Flickschuster wußte nicht, womit er nun sein Geld verdienen sollte. Er stellte sich auf den Marktplatz, hob seine Arme zum Himmel und betete zu Gott um Hilfe. Danach sah er einen Mann mit einer Stange über den Nacken, an der zu jeder Seite je ein mit Wasser gefüllter Eimer hing, auf den Marktplatz kommen und das Wasser an die herbei eilenden Menschen verkaufen. So beschloss der Flickschuster Wasserverkäufer zu werden. Er besorgte sich 2 Eimer, füllte sie mit Wasser und verkaufte dieses. Am Abend hatte er soviel Geld verdient, dass er eine Flasche Wein und einen Leib Brot kaufen konnte. Damit ging er nach Hause und war wie am Vortag vergnügt und froh und tanzte mit seiner Frau. An diesem Abend kam der König wieder zu dem Mann und erkundigte sich, wie es ihm heute ergangen sei. Der Mann erzählte alles, was geschehen war und dass er nun Wasserverkäufer sei. Wieder verließ der König den Mann und dessen Frau nachdenklich und ging zurück in seinen Palast, wo er in seinem Bett liegend sofort einschlief.

Als der Wasserträger am nächsten Morgen auf den Markplatz der Stadt kam, um sein Wasser zu verkaufen, erfuhr er, dass das Verkaufen von Wasser ab sofort verboten sei. Der Wasserträger hob seine Arme zum Himmel, betete und bat Gott um Hilfe. Da sah er ein paar kräftige Holzfäller mit Holzstücken beladen auf den Marktplatz kommen und das Holz verkaufen. Da beschloss der Wasserträger nun Holzfäller zu werden. Er eilte aus der Stadt in den Wald und schlug Holz, welches er dann auf dem Marktplatz verkaufte. Am Abend hatte er wieder so viel Geld, dass es für eine Flasche Wein und ein Brot reichte und er war vergnügte und guter Dinge. Am Abend besuchte der König den Mann wiederum und erfuhr, wie es kam, dass dieser nun Holzfäller war. Nachdenklich verabschiedete sich der König, um wieder in seinem Palast, in seinem Bett sofort einzuschlafen.

Am nächsten Morgen war der König schon früh wach. Er ließ seinen Hauptmann zu sich zu rufen und befahl diesem, allen Holzfällern der Stadt, die ja bekanntlich kräftige Männer wären, eine Uniform sowie ein Schwert zu geben. Diese sollten fortan seine Palastwache sein und rund um das Schloss aufgestellt werden. Einen Lohn sollten sie hierfür nicht erhalten.

Als der Holzfäller am Morgen beladen mit Holz in die Stadt kam, bekam er – ebenso wie die anderen Holzfäller – eine Uniform und ein Schwert und mußte den Palast den ganzen Tag bewachen. Am Abend, als sein Dienst zu Ende war, hatte der Mann kein Geld, um Wein und Brot zu kaufen. Er hob wieder die Arme zum Himmel und bat um die Hilfe Gottes. Danach bgab er sich zu einem Schmied. Diesem verkaufte er die Schneide des Schwertes. Den Knauf behielt er und ließ sich eine Schneide aus Holz machen und den Metallknauf oben daran befestigen. Er steckte das Holzschwert in die Scheide und es war kein Unterschied zu dem Metallschwert zu erkennen. Von dem Schmied hatte der Mann so viel Geld bekommen, dass er nicht nur Wein und Brot, sondern auch noch sonstige herrliche Esswaren kaufen konnte.

Als der Mann zuhause fröhlich mit seiner Frau aß, stellte sich wieder der König ein, um sich nach seinem Ergehen an diesem Tage zu erkundigen. Der Mann lud ihn ein, das Essen mit ihnen zu teilen, und berichtete dem König alles, was gewesen war und wie es ihm gelungen sei, soviel Geld zu bekommen, dass sie so herrlich zu Essen hätten. Wieder ging der König nachdenklich in seinen Palast und schlief sofort in seinem Bett ein.

Am nächsten Tag war Gerichtstag. Der König sass auf einem Thron mitten auf dem Marktplatz. Die Palastwache war da und viele Zuschauer. Es sollte über einen Dieb gerichtet werden, der aus dem Garten des König Melonen gestohlen haben sollte. Hierauf stand die Todesstrafe. Diese sollte vollstreckt werden. Der König winkte seinen Hauptmann zu sich, zeigte auf den ehemaligen Flickschuster und bedeutete ihm, diesen mit der Vollstreckung des Urteil zu beauftragen, er solle dem Dieb den Kopf abhauen.

Als der Hauptmann zu dem Mann kam und ihm befahl die Todesstrafe zu vollziehen, sagt dieser, er solle sich an einen anderen wenden, da er keiner Fliege etwas zu leide tun könne. Der Hauptmann sagte, dass er sterben müsse, wenn er den ihm gegebenen Befehl nicht ausführe.

Der Mann betete in seinem Inneren. Dann ging er in die Mitte des Marktplatzes und rief.

„Ich kann keiner Fliege etwas zu leide tun. Wenn es aber so sein soll, so bitte ich Gott, dass – wenn der Dieb wirklich schuldig ist – die Schneide meines Schwertes so scharf sein möge, dass ich ihm den Kopf mit einem Hieb abhaue. Ist er aber nicht schuldig, dann bitte ich Gott, dass die Schneide meines Schwertes zu Holz werden möge.“ Daraufhin zog er das Schwert aus der Scheide, hob sie über seinen Kopf und alle konnten sehen und hielten es für ein Wunder, dass die Schneide aus Holz war.

Da ließ der König den Mann zu sich bringen. Dieser erkannte in dem König seinen abendlichen Gast. Der König bat den Mann mit seiner Frau zu ihm in den Palast zu ziehen und fortan sein Berater zu sein.

Also geschah es und der König und der Mann wurden die besten Freunde und gingen nachts oft lange spazieren in Gespräche vertieft über alles, was sie verstanden und nicht verstanden.

Ein Puppenspiel, gesehen und anschließend aufgeschrieben von Waltraut